Niels Frédéric Hoffmann im Interview

„Kinder lachen über andere Dinge als Erwachsene“

Niels Frédéric Hoffmann über das Komponieren von Werken für Kinder, Humor und die Uraufführung von „Der Schellen-Ursli“ an Heiligabend im Stadttheater Bern.

Herr Hoffmann, wie viel Wagner verträgt ein Kind?

(Lacht) Schwierig!  Aber ich denke von all den Kinderkonzerten, die ich gemacht habe, waren die Kinder am aufmerksamsten bei Wagnerscher Musik und am wenigsten bei Mozart. Vielleicht ist also Mozart schwerer zu begreifen und zu hören als Wagner. Wenn ich beispielsweise meine Kinderoper –  nach Wagners „Ring“ –  „Götter, Zwerge und der Schatz im Rhein“ aufführe, sind die Kinder nie unruhig, sondern gehen mit. Wenn man aber ein Konzert mit Musik von Mozart macht, werden sie eher unruhig.

 

Können Sie sich an den Moment erinnern,  als Sie das erste Mal etwas komponiert haben?

Ja. Da war ich Sieben und in den Bergen; habe dort  alleine in den Wiesen gespielt und mir Melodien ausgedacht. Damals konnte ich noch keine Noten.

 

Wann haben Sie angefangen, die Melodien auf Papier zu bringen?

Das war viel später. Denn ich war zunächst damit beschäftigt über das Eis zu sausen und den Puck nach vorne zu bringen. Mit 14 habe ich angefangen Klavier und Geige zu spielen. In dem Moment habe ich begonnen, die vielen Melodien, die ich im Kopf hatte, aufzuschreiben.

 

Sie haben u.a mit Hans Werner Henze zusammengearbeitet.

Ich habe mit ihm drei Kompositionen zusammen geschrieben. Das war sehr beeindruckend für mich. Er war ein unglaublich musikalischer und sehr sehr phantasievoller und schneller Komponist. Wenn wir zusammen komponierten, war er immer schon mindestens 20 Takte weiter.

 

Hat diese Zusammenarbeit Ihre darauffolgenden Kompositionsarbeiten beeinflusst?

Nein, das glaube ich am wenigsten. Ich hatte von Anfang an eine sehr persönliche Vorstellung wie Musik sein muss und Vorbilder habe ich eigentlich wenige gehabt –  vielleicht weil ich nicht enttäuscht werden wollte. Wenn ich jemanden nennen müsste, dann wäre es Hanns Eisler, denn er hat sowohl sehr ernste Musik, also klassische Musik geschrieben sowie auch Chansons und Couplets, Theatermusiken und Filmmusiken – er konnte eigentlich alles bedienen.

 

Wodurch kamen Sie darauf, auch Werke für Kinder zu komponieren?

Das ist eine hinterhältige Frage, auf die ich zwei Antworten gefunden habe. Erstens: Ich habe immer Kinder gemocht. Hunde habe ich nicht so gern gemocht, aber Katzen. Und ich habe mich nie bei Kindern angedient  und tue das bis heute nicht. Stattdessen warte ich eher, dass sie zu mir kommen und bin nicht unbedingt gleich nett, sondern eher streng zu ihnen. Die zweite Antwort klingt ziemlich fürchterlich, aber sie ist wahr: Wenn ich für Kinder komponiere, kann ich schreiben was ich will – es muss nur den Kindern gefallen. Wenn ich für Erwachsene komponiere, dann muss ich bestimmte Dinge erfüllen. Mache ich ernste Musik, muss es modern sein, mache ich Filmmusik, muss ich Filmmusik machen usw.. Kinder fragen nach gar nichts. Sie haben nur einen Maßstab: Ist es interessant oder nicht. Und das hat mich gereizt, frei zu sein und trotzdem ein Ziel zu haben, nämlich Kinder zu unterhalten.

 

Wie entstehen Ihre Ideen?

Ganz einfach: Ich habe die Idee und dann ist alles fertig (lacht). Ich dachte zum Beispiel das musikalische Märchen von Sergei Prokovjew „Peter und der Wolf“ ist so erfolgreich, warum schreibt man nicht ein Stück in dieser Art, Sprecher mit Orchester. So bin ich auf Antoine de Saint-Exupérys „Kleinen Prinzen“ gekommen und hatte das in drei Tagen fertig im Kopf. Natürlich kannte ich den „Kleinen Prinzen“ auch von früher, aber es muss nicht unbedingt etwas sein, was man als Literatur persönlich sehr mag, sondern es muss einfach eine gute Vorlage sein, etwas das sich gut verwerten lässt.

 

Was gilt es beim Komponieren eines Kinderwerkes zu beachten?

Es muss abwechslungsreich sein und es muss die Kinder unmittelbar ansprechen. Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ ist beispielsweise schwierig mit Kindern zu machen. Meine Sachen sind eher lustig und voller Überraschungen – das mögen Kinder sehr gerne.

 

Was finden Kinder lustig?

Kinder finden zumindest etwas ganz anderes lustig als Erwachsene. Das ist ganz sicher.Eigentlich mögen Kinder  nicht, wenn andere Kinder auf der Bühne sind. Denn dann sagen sie immer: „Mhh, warum bin ich nicht da?“ Aber was sie mögen ist: Wenn Kinder auf der Bühne Erwachsene reinlegen, dann finden sie das sehr lustig und identifizieren sich mit den Kindern. Und Kinder mögen Situationskomik. Zum Beispiel bei Louis Carrolls „Alice im Wunderland“ sagen die Erwachsenen immer: „das ist zu kompliziert für Kinder“ und witzigerweise finden Kinder das sehr sehr lustig. Die Lieblingsrolle meiner Tochter in  der Geschichte ist die Herzkönigin, weil sie immer sagt: „ Kopf ab“. Erwachsene denken dann oft, das geht gar nicht und finden es zu brutal, wenn die Kinder eine feine Dame wie die Königin immer „Kopf ab“ rufen hören.

https://www.youtube.com/watch?v=xVDs4RlStjI

Auch die Zwillinge Diedeldei und Diedeldum aus „Alice im Wunderland“, die gleich aussehen, immer das gleiche sagen und eine lustige Art zu sprechen haben , finden Kinder wahnsinnig komisch. Sie  finden es einfach nur schön, dass da zwei Blödmänner sind, die erwachsen sind, sehr klug tun und eigentlich nur blödes Zeug reden.

https://www.youtube.com/watch?v=4H2EDu4c6R8

 

Sprache birgt viel Witz in sich.

Ja. Ich bin zweisprachig groß geworden und immer wenn man auf eine andere Sprache von außen blickt, können spontane Lacher entstehen. Die lustigsten Witze machen eigentlich Ausländer. Um nur ein Beispiel zu nennen: Eigentlich ist es  nicht lustig, wenn man sagt: Das ist Frau Hoffmann. Aber für einen Ausländer, der lernt Frau ist Frau ist das sehr komisch, denn die Dame müsste ja Frau Hofffrau heißen. So etwas finden Kinder sehr sehr komisch. Höchstwahrscheinlich auch, weil sie die Sprache der Erwachsenen blöd finden und diese manchmal gar keinen Sinn ergibt.

 

Wie hören Sie privat am liebsten Musik? Radio, CD, über das Smartphone?

Gar nicht.

 

Wirklich? Warum?

Weil ich meine Ruhe haben will. Wenn ich etwas höre, dann steckt eine Absicht dahinter, es muss mich beruflich interessieren. Bin ich z.B. dabei ein Streichquartett zu schreiben, höre ich mir Streichquartette an. Privat interessiere ich mich nicht so für Musik. Sie stört mich sogar, weil ich dann immer hinhören muss, wie das gemacht ist. Dafür lese ich privat sehr viel und gucke Filme. Aber auch da ärgere ich mich manchmal über die Musik.

 

Haben Sie einen besonderen Platz, an dem Sie gerne komponieren?

Ja. In der Eisenbahn. Im Zug sind tatsächlich die meisten meiner Skizzen und Überlegungen entstanden, denn dort kann mich niemand stören. Ansonsten sitze ich zu hause und mache meinen kleinen Fernseher an. Wenn es dann ganz unruhig ist, fallen mir die besten Sachen ein. Früher wäre ich wahrscheinlich ins Cafehaus gegangen und hätte dort komponiert.

 

Wie hat sich das Komponieren in den letzten Jahrzehnten verändert? Nutzen Sie Notensatzprogramme?

Vor zehn Jahren hatte ich noch eine wunderbare Schrift. Die war praktisch wie gedruckt. Die Leute haben immer gesagt: „Ohhh, das sieht ja toll aus!“ Dann sagte ich: „Ja, aber es hört sich schlecht an“ (lacht). Aber es war mir klar, dass ich den Umgang mit diesen Programmen lernen muss, auch für Chorsätze etc. Ich brauchte ungefähr fünf Jahre, bis ich so schnell mit den Notensatzprogrammen war, wie mit der Hand. Ich mache noch immer Skizzen, die Reinschrift mache ich dann allerdings immer schon in die Programme. Der große Vorteil ist: die Fehler kann man durch das sampeln gleich hören,  früher sind sie drin geblieben.

 

Sie arbeiten viel mit Schulen zusammen. Welche Erfahrungen haben Sie in diesem Bereich gemacht?

Ich war selbst zwei Mal sieben Jahre lang als Lehrer tätig und habe hauptsächlich Projekte mit den Kindern gemacht. Sie mögen Projekte sehr gerne, weil das unterhaltsam ist und immer etwas Neues beinhaltet. Was Kinder nicht so gerne mögen, ist diese laufende disziplinierte Schularbeit. Und alle Projekte, die ich gemacht habe, waren immer sehr erfolgreich. Ich wusste nur am Schluss nicht, was ich den Kindern für eine Note geben soll, denn jeder hat seine Sache so toll gemacht, dass ich eigentlich allen am liebsten eine eins gegeben hätte.

 

Welche Erfahrungen haben Sie in der Zusammenarbeit mit Schulen als Komponist und Erzähler gemacht?

Das letzte Projekt  was wir gemacht haben, war das Kindermusical „Tom Sawyers Abenteuer“ nach Mark Twain. Es war fantastisch. Ich glaube für die Mark-Twain- Grundschule war das ein Riesenerlebnis, was alle nicht vergessen werden. Die Lehrer waren zwar sehr gefordert, haben aber toll mitgearbeitet.

https://www.youtube.com/watch?v=fkA0x5rXKos

 

Ihr neuestes Werk erzählt die Geschichte des Schweizer Bergjungen „Der Schellen-Ursli“. Worum geht es und wie lief der Kompositionsprozess ab?

In der Kindergeschichte von Chelina Chönz geht es um die Austreibung des Winters, die traditionell am 1. März im Engadin stattfindet. Alle Kinder ziehen mit ihren Glocken aus dem Dorf hinaus. Ursli, der Junge mit der kleinsten Glocke, muss ganz am Ende des Umzugs laufen und wird von den anderen Dorfjungen deswegen gehänselt. Um seine kleine Glocke gegen eine grosse Kuhglocke auszutauschen und den Umzug anführen zu können, macht Ursli  sich auf den abenteuerlichen Weg durch den tiefen Schnee zur Alphütte im Maiensäss.

Die Konzertfassung für „Der Schellen-Ursli“ habe ich im Auftrag des Konzert Theater Bern komponiert. Da ich selbst als Junge in der Schweiz aufgewachsen bin, fühle ich eine große Verbundenheit zur Natur und den Bergen. Den Schellen-Ursli-Weg gibt es wirklich – im Engadinerdorf Guarda. Im Winter letzten Jahres habe ich die Wanderung gemacht, um die Geräusche des Flußes, der Glocken und des Waldes aufzunehmen und in Form von Musik aufs Papier zu bringen. Ich freue mich sehr, dass das Stück an Heiligabend in Bern uraufgeführt wird und  auch einen Tanz mit der Glocke wird es geben, bei dem das junge Publikum mitmachen darf.

 

Ihre Fassung von „Der Kleine Prinz“ läuft europaweit erfolgreich. Wovon träumt der „Große Niels“? Welches Projekt würden Sie gerne verwirklichen?

Ich würde gerne eine Oper für Erwachsene oder für Großes Haus schreiben. Im Kopf existieren hierfür bereits drei konkrete Projektideen.

 

Könnten Sie zum Schluss noch einen Witz mit Musikbezug erzählen. Natürlich einen jugendfreundlichen, Herr Hoffmann.

Der kürzeste Musikerwitz: Ein Musiker geht an einer Kneipe vorbei.

 

Danke für das Interview, Herr Hoffmann!

ch

 

Die Uraufführung von „Der Schellen-Ursli“ findet am 24. Dezember 2015 im Konzert Theater Bern statt.

Weitere Aufführungstermine: 26.12.2015

 

Weitere Werke von Niels Frédéric Hoffmann bei Ries & Erler finden Sie hier.

 

Presse:

Bündner Tagblatt, 13. Juli 2015 Der Schelle und dem Ursli auf der Spur